Dein Gehirn, Dein Körper und Deine Bewegung

Dein Gehirn und Dein Körper sind so untrennbar miteinander verbunden, daß im wahrsten Sinne untrennbar sind.

Im heutigen Blog wollte ich einmal beschreiben, wie Bewegung und damit auch Training unsere Kognition positiv beeinflußt.

Diese komplexe Verbindung von Körper und Geist ist faszinierend, weil das Erlernen neuer Bewegungen unseren Verstand verbessern kann.

Im Gehirn beginnt Bewegung

Die Bewegung beginnt im Gehirn. Bevor Du dich bewegen kannst, mußt Du zuerst diese Bewegung im Gehirn durchführen. Das machen wir um von der groben Vorstellung eine verfeinerte Variante „herstellen“ können.

Die Absicht, sich zu bewegen, beginnt im hinteren Parietallappen, einem Bereich, der mit dem Konzept des freien Willens verbunden ist.

Die Basalganglien bietet Dir eine „Aktionsauswahl“, um diese Bewegung auszusuchen..

Wir nutzen dann das Kleinhirn, um Informationen aus unserer Umgebung zu integrieren. Dazu gehört detailliertes propriozeptives Feedback von den Sensoren in unseren Muskeln, Sehnen und Faszien, das uns ein detailliertes Bild der aktuellen Position unseres Körpers und seines Gleichgewichts liefert.

Der prämotorische Kortex kombiniert diese Informationen mit den Gesetzen der Physik, die wir aus unzähligen Interaktionen in unserem Leben gelernt haben. Der Grund ist einfach: wir müssen uns schließlich im Raum positionieren, um die Bewegung weiter zu verfeinern.

Der Motorcortex reagiert dann mit einer Musterbewegung auf, die direkt der fraglichen Bewegung entspricht, damit wir dieses Gewicht heben oder diesen Faustschlag ausführen können.

Bei all dem sagt das Gehirn im Wesentlichen voraus, wie die Bewegung aussehen wird.

Wenn die abgeschlossene Bewegung mit dieser Vorhersage übereinstimmt, werden die von uns verwendeten neuronalen Muster durch Verstärkung der Neurochemikalien gestärkt.

Wenn die Bewegung falsch ist und ein „Vorhersagefehler“ vorliegt, wird die Bewegung beim nächsten Mal weiter verfeinert. Diese Neuroplastizität ermöglicht es uns, neue Fähigkeiten und Bewegungen zu erlernen und uns kontinuierlich an unsere Umgebungen anzupassen.

Jetzt könnte man darüber streiten, daß unser Gehirn quasi nur dafür da ist, Bewegung und sich bewegen zu erlernen.

Immerhin ist es ein hochkomplexer Vorgang, der sich in einer Dauerschleife befindet. Es ist ein multisensorisches Vorgehen, daß sich in seiner Komplexizität fundamental von dem Lernen von Bsp.Vokabeln unterscheidet.

Bewegung lernen benötigt nicht nur die Vorstellung von Bewegung, sondern auch die Information eines jeden einzelnen Sinnes und jedes Vorganges im Körper.

Mit Bewegung wird unser Gehirn quasi in einen Ausnahmezustand versetzt, der multifunktionale Fähigkeiten fordert.

Wenn man sich allein in die Vorstellung versetzt, wie wir als Kleinkinder überhaupt Bewegung erlernt haben. Vom hin und her bewegen auf dem Rücken liegend, zur Beobachtung der Erwachsenen, wie sie stehen und gehen, um überhaupt eine Vorstellung vom Stand auf zwei Beinen zu bekommen und es dann in unzähligen Versuchen auch schaffen.

Und all das ist vereint in unsere stärkste Fähigkeit. Die Fähigkeit, die uns Mensch macht. Es ist die Anpassungsfähigkeit.

Als übergeordnete Überschrift ist sind diese komplexen Vorgänge genau das: unsere Fähigkeit, uns anzupassen.

Gehirn adaptiert

Und der beste Weg, den Körper am Lernen zu halten, besteht darin, ihn zu zwingen, sich zu ändern, indem die Umgebung verändert wird. Das bedeutet die Umgebung und die Routinen und Anforderungen, die unsere Umgebung ausmachen.

Die beste Bewegung ist eine Bewegung, die eine hohe Menge an propriozeptivem Feedback erfordert und dich gleichzeitig kognitiv belastet.

Untersuchungen von Tracy und Ross Alloway zeigen, dass Aktivitäten wie das Klettern auf Bäumen, das Krabbeln auf Balken und das Barfußlaufen leistungsstarke Werkzeuge zur Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses sind. Zufälligerweise sind dies die Arten von Aktivitäten, die wir natürlich als Kinder ausüben würden. Alloway schlägt z.B auch vor, dass eine Aktivität wie Surfen perfekt für diese Art von Aktivität sein könnte.

Aber was ist, wenn wir uns nicht bewegen? Was ist, wenn wir uns nur vorstellen, uns zu bewegen? In diesem Szenario sehen wir immer noch sehr ähnliche Aktivitäten im Gehirn. Das bedeutet, dass wir tatsächlich Bewegungen in unserem Gehirn üben und dieselben neuronalen Pfade stärken können.

Stell Dir das Werfen eines Balls vor, verwende tatsächlich die genau gleichen neuronalen Netze und Du kannst diese Verbindungen auf die gleiche Weise stärken: die Bewegung effizienter und präziser zu machen, ohne dich überhaupt zu bewegen!

Verkörperte Semantik

Wenn unsere Sprache (hier Deutsch) unsere Programmiersprache ist, was ist dann der Programmiercode unseres Gehirns?

Verkörperte Semantik ist ein Denkmodell, das auch bislang nur Theorie ist. Es beinhaltet das die Basis jedes Gedanken Bewegung ist und damit eine quasi „erste Hand“ Erfahrung.

Wenn ich Dir erzähle, welche Erfahrung ich beim Spaziergang im Winter bei -15 Grad draussen gemacht habe (kalt, naß, gefroren, hoher Schnee etc), dann weiß Du sofort, wie es sich angefühlt hat.

Mit anderen Worten: Du erinnerst Dich selbst an diese Erfahrung. Du spürst, wie die Kälte an deinen Beinen zerrt. Du spürst die nassen Füsse durch den Schnee. Du spürst das Knirschen des Schnees unter deinen Füssen.

Für all das brauchst du nicht aktuell vor Ort zu sein. Du weißt es einfach, weil Du dich erinnerst, wie es ist. Deine Emotionen werden kommen wieder hoch und sind sofort präsent. Das alles kommt aus deinem Gehirn und den Erfahrungen, Geräuschen, Emotionen, Gerüchen etc die dort abgespeichert sind.

Aber ohne Körper und ohne die Erfahrung bei -15 Grad draussen zu sein, hättest Du keine Ahnung, wovon ich rede.

Wir müssen also lernen. Genauso wie beim Lernen einer Sprache.

Warum können wir Kälte nachempfinden?

Um bei dem Beispiel des Wintespazierganges zu bleiben, von dem wir angenommen noch gar keine Erfahrung haben, weil wir keine Kälte kennen etc…Wir lernen, indem wir unsere Beobachtung auf den Erzähler fokussieren. Unser Gehirn versucht sofort zu verstehen, wie es sich anfühlen könnte. Wir beobachten unbewußt Mimik, Gestik, Sprache, Tonhöhe, -tiefe, Betonungen etc. Unsere Sensorik ist sofort angesprungen, um diese Erfahrung nachzuvollziehen

Und es geht noch weiter. Solange wir keine Vorstellung davon haben, wie es sich anfühlt bei -15 Grad im Schnee spazieren zu gehen, kreiert unser Gehirn neue Vorstellungen, verwirft alte und ersetzt neue. Bis wir irgendwann diese Erfahrung machen. Dann gleicht unser Gehirn ab, schreibt um, adaptiert.

Bis dahin, glauben wir aber trotzdem wie es sich anfühlt. Wir glauben, zu wissen das…

Körperliche Semantik hat nicht nur etwas mit kinastetischer Erfahrung zu tun. Es ist ein multisensorischer Prozess. Er ist hochkomplex und zeigt, wie sehr wir eigentlich Mensch sind.

Denn dieser Prozess läuft unermüdlich ab. 24/7 wie es auf Neudeutsch so schön heißt.

Und das kann man auf alle Dinge im Leben anwenden.

Wie kann man ansonsten eine neue Sprache lernen, ohne jemals Hilfe bekommen zu haben? Stell Dir vor du bist der einzige Mensch in einer Gruppe, der die Sprache der anderen nicht spricht. Du wirst sie trotzdem lernen, weil Dein Gehirn dich zur Anpassung zwingen wird.

Und wie gesagt, all das findet im Kleinhirn statt.

Die präfrontale Kortex, die sich viel später entwickelt hat als das Hinterhirn, in dem sich das Kleinhirn befindet, ist der Ort, an dem unsere Fähigkeit, sich an abstraktem Denken zu beteiligen, stattfindet. 

Es gibt eine Verbindung zwischen beiden Parteien. Oder anders gesagt, es gibt eine Verbindung zwischen dem Lernen von Bewegung und abstraktem Denken.

Das erklärt, warum das Kleinhirn Verbindungen aufweist, die tief in die präfrontale Kortex reichen. Es erklärt auch, warum immer mehr Studien eine Rolle für das Kleinhirn und den vormotorischen Kortex bei scheinbar nicht zusammenhängenden kognitiven Aufgaben zeigen.

In einer Studie wurde sogar festgestellt, dass Wrestler (!) ihre motorischen Regionen mehr als durchschnittliche Menschen nutzen, wenn sie kognitive Aufgaben wie geistig rotierende Objekte ausführen. Diese Strategie führte tatsächlich zu einem höheren Maß an Genauigkeit!

Das unterschätzte Kleinhirn

Das Kleinhirn wird als Lernmaschine involviert. Es spielt eine große Rolle bei der Verfeinerung der Bewegung und der Vorhersage der Ergebnisse, was uns auch helfen kann, Konzepte und Vorhersagen höherer Ordnung zu konzipieren.

Das Kleinhirn hat etwa 69 Milliarden Neuronen, verglichen mit den 16 Milliarden, die in der Großhirnrinde gefunden wurden. Darüber sollte man sicherlich nachdenken!

Es gibt tiefsitzende, hochkomplexe Verbindungen im Gehirn. Dieser Artikel zeigt nur einen Bruchteil dass auf, was in unseren Köpfen los ist.

Summa Summarum sollten wir uns dieses Basiswissen zu nutze machen und es bewußt (!) anwenden.

All die unbewußten Vorgänge laufen bei uns eh im Hintergrund ab. Unser Gehirn arbeitet für sich, ob wir es wollen oder nicht.
Bewegung und das Lernen von Bewegung ist ein hochkomplexer Prozeß und kann sicherlich eine Steigerung unserer kognitiven Fähigkeiten positiv beeinflußen.

Warum also nicht mal wieder vollkommen neue Bewegungen lernen?

Ido Portal

Als Hilfestellung kann ich hier auf den Israeli Ido Portal verweisen, der genau das tut.

Ido glaubt, dass der Erwerb einer neuen Fertigkeit mehrere Phasen durchläuft, die sehr schwierig beginnen, bevor sie eine Zeit der Verfeinerung und schließlich der Beherrschung durchläuft. Ido glaubt, dass wir mehr Zeit in der ersten und zweiten Phase verbringen sollten, also den schwierigen Phasen.

Dies ist der Zeitpunkt, an dem am meisten lernt, und als solcher der größte Nutzen für unsere Plastizität und kognitive Entwicklung.

So viele von uns konzentrieren sich darauf, Bewegungen zu meistern. Viel transformativer ist es, etwas völlig Neues zu lernen. Konstant.

Nochmal: Der beste Weg, den Körper am Lernen zu halten, besteht darin, ihn zu zwingen, sich zu ändern, indem die Umgebung verändert wird. Das bedeutet die Umgebung und die Routinen und Anforderungen, die Ihre Umgebung ausmachen.

Jörg Siegwarth

Ein Gedanke zu ”Dein Gehirn, Dein Körper und Deine Bewegung

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