Resilienz ist die Fähigkeit, Belastungen auszuhalten, Rückschläge einzuordnen und auch unter Druck handlungsfähig zu bleiben. Sie entsteht nicht von selbst. Resilienz ist eine Kompetenz, die sich entwickelt, wenn wir lernen, mit Widerständen umzugehen – nicht, wenn wir allen Widerständen aus dem Weg gehen. Genau hier liegt ein zentrales Problem unserer modernen Gesellschaft.
Warum Resilienz heute so oft fehlt
Komfort statt Belastung
Wir erleben eine Kultur, die Unannehmlichkeiten systematisch reduziert. Fast alles ist darauf ausgelegt, sofortige Bequemlichkeit zu erzeugen. Die digitale Welt schafft Ablenkung, Abkürzungen und ständige Belohnungsreize. Was dabei verloren geht, ist die Fähigkeit, Frustration auszuhalten. Aber ohne Reibung findet keine psychische Anpassung statt.
Überbehütung und das Problem abgeschwächter Rückmeldungen
In der deutschen Erziehung lässt sich seit Jahren ein deutlicher Trend beobachten: Negative Rückmeldungen sollen vermieden werden. Konflikte werden vorgefiltert, Kritik wird weich verpackt, Frustration wird sofort abgefedert. Die Absicht dahinter ist gut gemeint. Man möchte Kinder schützen, stärken und ihnen Selbstbewusstsein vermitteln.
Doch das Gegenteil geschieht:
Kinder lernen nicht, mit echten, unverblümten Rückmeldungen umzugehen. Sie erleben zu selten die Erfahrung, dass man etwas nicht sofort gut kann – und dass dies normal ist. Ohne solche Lernerfahrungen baut sich keine seelische Robustheit auf.
Psychologisch betrachtet ist Resilienz ein Produkt von kontrollierten Herausforderungen. Wer nie negative Emotionen bewältigen musste, hat es später schwerer, mit Stress und Konflikten stabil umzugehen.
Warum wir Resilienz dringend brauchen
Eine zunehmend komplexe Welt
Gesellschaftliche Veränderungen, technischer Fortschritt, politische Unsicherheit und Informationsinflation verlangen heute mehr psychische Stabilität als noch vor wenigen Jahrzehnten. Belastung verschwindet nicht – aber unsere Fähigkeit, sie zu bewältigen, ist gesunken.
Mentale Gesundheit braucht Belastbarkeit
Stress lässt sich nicht vermeiden. Entscheidend ist, wie wir ihn verarbeiten. Resilienz bedeutet nicht Härte im Sinne von Kälte, sondern die Fähigkeit, Gefühle zu regulieren, Perspektiven zu wechseln und Herausforderungen Schritt für Schritt zu bewältigen.
Selbstwirksamkeit entsteht nur durch echte Erfahrung
Wer nie die Chance hatte, Rückschläge zu überwinden, entwickelt kein Vertrauen in die eigene Problemlösefähigkeit. Die Folge: Menschen fühlen sich schneller hilflos, abhängig und überfordert. Resilienz hingegen stärkt Identität, Selbstvertrauen und Entscheidungsfähigkeit.
Der erzieherische Aspekt: Wie wir Resilienz bei Kindern behindern – und wie wir sie wieder fördern können
Ehrliche Rückmeldungen statt emotionaler Watte
Kinder brauchen Wertschätzung. Aber sie brauchen ebenso Klarheit.
Wenn ein Kind eine Aufgabe nicht gut gemacht hat, hilft es ihm nicht, die Realität weichzuzeichnen. Eine ehrliche, respektvolle Rückmeldung vermittelt Orientierung. Sie zeigt, dass Leistung formbar ist und dass Fehler ein normaler Bestandteil von Lernprozessen sind.
In der aktuellen Erziehung fehlt oft genau diese Balance:
– Auf der einen Seite gibt es Lob und Schutz.
– Auf der anderen Seite fehlen Herausforderung und Rückmeldung.
Kinder wachsen dadurch ohne das notwendige emotionale Werkzeug auf, das sie als Jugendliche und Erwachsene dringend benötigen.
Eltern müssen Frustration zulassen
Ein zentrales Missverständnis moderner Erziehung ist die Annahme, dass Frustration schädlich sei.
In Wahrheit ist sie ein Lernreiz – solange sie altersgerecht und dosiert ist.
Eltern sollten zulassen, dass Kinder:
– kleine Niederlagen erleben
– Aufgaben selbst lösen
– Konflikte aushalten
– Verantwortung übernehmen
– Fehler machen und korrigieren
Diese Lernerfahrungen formen Selbstsicherheit. Schutz ist wichtig, aber übermäßige Intervention schwächt langfristig.
Die Schule als Entwicklungsraum für Resilienz
Schule könnte ein entscheidender Ort sein, an dem Kinder lernen, mit Herausforderungen umzugehen. Doch dafür müssen zwei Dinge passieren:
1. Aufgaben müssen wieder anspruchsvoller sein
Wenn jede Aufgabe lösbar ist, jeder Fehler relativiert wird und jede Unsicherheit vermieden werden soll, fehlt das zentrale Element jeder Resilienzbildung: Überwindung.
Kinder brauchen:
– Aufgaben, die nicht sofort gelingen
– die Möglichkeit zu scheitern
– ehrliches Feedback
– die Erfahrung, durch erneuten Versuch Erfolg zu haben
Das stärkt die Kompetenz, sich Herausforderungen nicht zu entziehen.
2. Eltern müssen die Arbeit der Schule unterstützen
Resilienzbildung funktioniert nur gemeinsam.
Wenn Eltern jedes unangenehme Gefühl ihrer Kinder sofort kompensieren, kann Schule keine echte Lernumgebung für psychische Stärke sein.
Schulen können Resilienz fördern, wenn Eltern zulassen, dass:
– ihr Kind eine schlechte Note bekommt, ohne dass sofort ein Problem konstruiert wird
– Konflikte im Klassenraum nicht unmittelbar „extern gelöst“ werden
– Lehrer auch klare Rückmeldungen geben dürfen
– Anstrengung wieder als normal betrachtet wird
Resilienz braucht Realität – nicht die Abwesenheit von Realität.
Was wir alle tun können, um resilienter zu werden
Negatives Feedback annehmen lernen
Kritik ist kein Angriff, sondern Information. Wer sie einordnen kann, wächst über sich hinaus.
Stressdosierung statt Stressvermeidung
Gezielt gewählte Belastungen helfen, seelische Stabilität aufzubauen. Dazu gehören:
– Sport und körperliche Herausforderungen
– Aufgaben mit echtem Widerstand
– Konflikte selbst lösen
– mentale Übungen wie Kälte, Hitze, Atemtechniken oder konzentrierte Arbeit
Frustrationstoleranz trainieren
Wiederholen, obwohl es schwer ist. Dranbleiben, obwohl es nicht sofort klappt. Das ist der Weg zu psychischer Stärke.
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